Alt-Schönows Glocke

[31.10.2017]  Meldung

Beitrag aus der Platzzeitung von Camphill Alt-Sch̦now, Heft 4 РOktober 2017

„Heilsam ist nur,
Wenn im Spiegel der Menschenseele
Sich bildet die ganze Gemeinschaft.
Und in der Gemeinschaft lebet
Der Einzelseele Kraft.“
(Rudolf Steiner)

In der letzten Ausgabe unserer Zeitung „Leben in und um“ wurde schon mit Worten und Bildern über das Ereignis des Glockengusses berichtet. Näheres über die Hintergründe soll hier gesagt werden.

Beim Bau unserer drei 1997 fertiggestellten Häuser hatte Architekt Johannes W. Schneider dem Svärdström-Haus eine nach Norden freistehende Mauer angehängt, die keinen Innenwohnraum umschließt, sondern die im Außenbereich stand als eine schützende Geste gegenüber dem damals noch wilden Nachbargrundstück. Im äußeren oberen Eck hatte diese Mauer einen quadratischen Durchbruch, gesehen wie ein Fenster in den Himmel. Nachdem nun das Viktor-Frankl-Haus und das Dag-Hammarskjöld-Gemeinschaftshaus gebaut und die Gartenanlage fertiggestellt waren, erhielt dieses Mauer einen neuen Sinn. Spaßeshalber hängte ich vor einigen Jahren eine alte Schiffsglocke in dieses Himmelsfenster, schon in der Hoffnung, dass von dort einmal Glockenklang sich über unseren Platz ausbreiten möge: Eine schwingende Glocke, die klingend die hier lebenden Menschen verbindet (und die, die tagsüber von außen dazukommen).

Eine Vision, die zu den Feierlichkeiten unseres 25-jährigen Bestehens passte (wie auch zu der Erweiterung vor 20 und des Viktor-Frankl-Hauses vor 10 Jahren). Um aber die Glocke schwingend aufzuhängen, musste das Loch entgegen einiger Bedenken vergrößert werden. Konkreter wurde der Plan, als der Glockengießer Peter Glasbrenner aus Schwäbisch Hall gefunden war und sich der Menschenkreis von Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, Mitgliederinnen und Mitgliedern unseres Vereins und schließlich auch die Bewohnerinnen und Bewohner sich der Begeisterung nicht mehr entziehen konnten. Der Termin des Gusses wurde bewusst auf den 24. Juni, den Johanni-Festtag, gelegt.

Das Johanni-Spiel von Karl-König, das draußen unter freiem Himmel aufgeführt wird, handelt davon, wie die ganze Gemeinschaft im übertragenen Sinne eine Glocke bildet. Damit diese entstehen kann, leistet jedes Gemeinschaftsmitglied seinen Beitrag als ein Substanzanteil des Glocken-Körpers, aber auch den Zusammenhalt der Form und letztlich tragen alle dazu bei, dass die Glocke auch klingt und mit Wohlklang in der Welt wahrgenommen wird. In diesem Klang schwingen die verwandelten Fähigkeiten jedes einzelnen Gemeinschaftsmitgliedes mit, wie die unter großer Hitze verflüssigten Metalle, die zu einer Legierung vereinigt in die Glockenform gegossen wurden.

Die ganze Elementarwelt ist an dem Guss beteiligt: Feuer/Wärme und Metall/Erde sind offensichtlich. Aber ohne die Luft würden wir kein Feuer zustande bringen. Auch muss sie aus der Form entweichen, wenn das Metall hineingegossen wird. Sonst würde es zu Blasenbildung und zum Fehlguss kommen. Das Wasser, das Flüssige, ist als Öl im speziellen Formsand in der Form in genau bemessenem Anteil enthalten, um ihm die nötige Standfestigkeit während des Gusses zu geben. Auch entsteht die Verwandlung der Metalle, die Legierung der Glockenbronze, erst durch das Erhitzen, Verflüssigen und Verschmelzen bei 1.100°C.

Wir selber leben in der Zeit der längsten Tage und kürzesten Nächte leichten Sinnes in dieser Elementarwelt, in die Natur hinaus schwärmend und sind gedanklich weniger in uns als im Winter. Da wirken die Worte von Johannes des Täufers mahnend „Ändert den Sinn, das Himmelreich ist nahe gekommen!“ Anders könnte keine haltbare Gemeinschaft entstehen. Immer wieder begegnen wir der opfernden Geste, die erst eine Veränderung des Bestehenden zulässt, damit durch unser Tun ein höheres Ziel erreicht werde und kein Missklang von der Glocke ausgehe.

Eine besondere Rolle kommt dem Klöppel zu: ohne den Widerstand, den Anschlag des Hammers würde die Glocke nicht klingen. Jeder Anschlag ist eine Tat. Er soll nicht zu hart, nicht zu schwach sein, damit jedes Mal ein erträglicher Klang zustande kommt. In unserem Fall ist der Klöppel beweglich mit der Glocke verbunden. Alles muss auf einander abgestimmt sein: Material, Form und die Bewegung.

In einer anderen Variation würde es heißen: Möge der „Einzelseelen-Klöppel“ in unserer „Glocken-Gemeinschaft“ uns immer wieder neue Impulse, neuen Schwung geben, dass unser Lebenswerk hinausklinge zu uns Menschen und in die Natur, aus der wir das Material entnommen haben und mit der wir selber eng verbunden sind. Möge der Klang der Glocke mit dem Namen „GEMEINSCHAFT“ Aufruf zu echten Gemeinschaftstaten sein.

An dieser Stelle passt das „Gebet des Glockengießers“ vor dem Guss, auf dass im vorigen Beitrag schon hingewiesen wurde:

Allmächtiger Gott,
Herr des Himmels und der Erde,
Die ganze Schöpfung
verkündet Dein Lob!
Sieh auf das Werk unserer Hände
Segne dieses flüssige Metall,
Das für den Guss der
neuen Glocke bestimmt ist.
Leite seine Ströme
Und schenke uns dafür den Erfolg.
Gib, dass die neue Glocke Deinen Namen verherrliche
In Mitten unserer Gemeinde!
Das gewähre uns in
Christus, unserem Herrn
AMEN

Schließlich mag noch auf die 14 Zeichen auf der Glocke verwiesen sein: 12 Buchstaben zieren mit dem Schriftzug „GEMEINSCHAFT“ den äußeren Rand, dort wo innen auf der einen Seite der Klöppel anschlägt. Auf der Seite gegenüber schlägt er an, wo außen das „ʘ“ zu finden ist, ein O und ein Punkt darin – Punkt und Umkreis oder auch das Symbol für die Sonne. Demgegenüber, über der Schrift, weist das große U auf den Gang des Erdenschicksals hin. Alles, was wir auf die Erde mitbringen und hier erleben, erfährt mit dem Bewusstwerden eine Wende und wird wieder mitgenommen in die geistige Welt. Durch die Ergänzung dieser beiden Zeichen „ʘ“ und U tönen alle Vokale, alle unsere Selbstlaute bei jedem Glockenschlag hinaus.

Seit Johanni sind nun schon mehr als drei Monate vergangen und wir nähern uns der Tag-und-Nacht-Gleiche. Beim Glockenguss spürten wir Verbundenheit mit den Elementarkräften und den Naturgewalten, ohne dabei unsere Verantwortung gegenüber der Natur zu vergessen. Verantwortungsbewusstsein ist eine Fähigkeit, die jeden Einzelnen berührt und die Aufmerksamkeit des Einzelnen verlangt. Verantwortung zu übernehmen und schließlich auch (durch-) zu tragen kostet Mut. Wer den für eine bestimmte Aufgabe nicht hat, kann dafür keine Verantwortung übernehmen. Er ist dafür nicht reif. Wohl aber kann er in die Verantwortung hineinwachsen, wenn er dazu ermutigt wird – von wem auch immer. Ein Stückchen Ungewissheit liegt in jeder (Zukunfts-) Aufgabe.

Ich spürte bald, dass eine fertige Glocke das Eine ist, aber sie soll ja nicht nur zum bloßen Anschauen da sein. Sie ist eine große Herausforderung für die Gemeinschaft. Wer soll die Glocke läuten? Wann soll sie klingen, zu welcher Tageszeit und zu welchen Anlässen? Auch in der Nachbarschaft wird man sie bemerken. Also gilt es ihren Klang über die eigenen (Grundstücks-) Grenzen hin zu pflegen und zu kultivieren, d.h. Regeln für das Läuten zu finden, damit Orientierung, Sicherheit und Freude davon ausgehen. So wird man sich verstärkt als Gemeinschaft empfinden. – Zur Zeit gibt es die Regel, dass in einer Einführungszeit bis Michaeli (29. Sept.) immer, wenn Jürgen Goos am Platz dazu bereit ist, abends um 18:00 Uhr sowie sonntags um 9:55Uhr, also 5 Minuten vor der Opferfeier, geläutet wird. Die hohen Festtage (keine Geburtstage oder kleine Feieranlässe) werden eine zusätzliche Regelung erfahren. Zu Michaeli mag sich dieser Plan erweitern.

Der ebenfalls im vorigen Beitrag erwähnte Spruch von Rudolf Steiner war das „Abendglocken-Gebet“ oder auch „Beim Läuten der Glocken“ genannt:

Das Schöne bewundern,
Das Wahre behüten,
Das Edle verehren,
Das Gute beschließen:
Es führet den Menschen
Im Leben zu Zielen,
Im Handeln zum Rechten,
Im Fühlen zum Frieden,
Im Denken zum Lichte
Und lehrt ihn vertrauen
Auf göttliches Walten
In allem, was ist,
Im Weltenall,
Im Seelengrund.